Philosophy Of A Knife
Als Reviewer extremer Filme über Philosophy Of A Knife zu schreiben ist naheliegend. Und doch schiebe ich es seit Ewigkeitenvor mir her. Denn der über einen Zeitraum von vier Jahren, vom russischen Regisseur Andrey Iskanov gedrehte Film, ist nicht umsonst einer der sperrigsten, unangenehmsten, grausamsten und anstrengendsten Filme, die es da draußen gibt. Man könnte es sich einfach machen und einfach schreiben, dass all jene, die ihre Schmerzgrenze in Bezug auf filmische Gewalt ausloten wollen und sich über 4 Stunden hinweg durch zelebrierten Sittenverfall abstumpfen lassen möchten, hier aufhören können zu lesen und sich direkt den Film zulegen sollen. Philosophy Of A Knife geht dermaßen an und über die Grenzen, verstört, demoralisiert und entsetzt, wie es nur ganz wenige Filme schaffen. Ob er dies verdient, aufrichtig oder mit Hintergedanken tut, ist dabei die wirkliche Herkulesaufgabe einer solchen Besprechung. Denn besonders die Einbettung in einen realen Kontext, ist das große Problem oder "Glück" dieses Streifens - es kommt nur auf die Betrachtung und die eigenen Moralvorstellungen an...
Zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges eröffnete die Kwantung Armee, die Hauptarmee des japanischen Kaiserreiches, in der Mandschurei, einem Gebiet, welches heutzutage in den Regionen von China, Russland und der Mongolei liegt, mehrere militärische Forschungseinrichtungen. Die bekannteste davon ist die Einheit 731, geleitet von GeneralleutnantIshii Shiro, dessen nachträgliche Bezeichnung als "japanischer Dr. Mengele" nicht von ungefähr kommt. Die Einheit 731, die mehr als 3500 chinesischen wie koreanischen Zivilisten, sowie Kreigsgefangene der Sowjetuniondas Leben kostete, war eine auf Menschenversuche ausgelegte Forschungseinheit. Unterkühlungs-, Radiations- und Druckkammerexperimente, Erschaffung bakteriell verseuchter Sprengsätze, Detonationsschadenstest am lebenden Subjekt, Implantationen von Granatsplittern, sowie Tests mit verschiedenen biologischen Kampfstoffen von Typhus bis zu Pestbakterien, waren alles Dinge, die die Einheit 731 an den von ihnenbezeichnetenMarutas (japanisch für Holzklotz), den unfreiwilligen Probanten, ausprobiert haben.
Die Verfilmung dieses geschichtsträchtigen und skandalösen Stoffes ist für den geneigten Real-Horrorfan im Grunde nichts Neues, da sich die vierteilige Reihe Men Behind The Sun genau damit schon Jahre zuvor beschäftigte: Den vierten Teil, The Nanking Massacre, der zwar ebenfalls japanische Kriegsgräuel schildert aber sich nicht um die beschriebene Einheit dreht, kann man daher inhaltlich außen vor lassen und Teil 3 aka A Narrow Escape, als Film über die Flucht der eingesetzten Soldaten nach der angeordneten Zerstörung des Experimentierungs-Lagers, nutzt die Thematik auch nur mehr am Rande. Men Behind The Sun und Men Behind The Sun 2 - The Laboratory Of The Devil (genau wie auch Teil 3 von Godfrey Ho inszeniert!) sind jedoch andere Kaliber. Könnte man Laboratory Of The Devil noch unterstellen, lediglich ein Remake des ersten Teils zu sein, geht besagter erste Teilin meinem Leben als einer der ganz wenigen Filme in die Geschichte ein, bei welchem mir ernsthaft ob der Gewalt schlecht wurde. Dies jedoch nur der Vollständigkeit halber, denn hier soll es nun endgültig um den 2008 veröffentlichten Philosophy Of A Knife gehen, auf den zum Zeitpunkt dessen Release wohl gar niemand vorbereitet gewesen sein dürfte:
Der in der Stadt Chabarowsk lebende, russische Regisseur Andrey Iskanov, 2003 erstmalig filmisch durch Nails, einem Amateursplatter angehauchten Arthouse Film mit gewollt forciertemLynch-Einschlag, sowie thematischer Anspielung an Amanda Feilding und ihrer kontroversen, aufgrund Nachahmungsgefahr nur einmalig aufgeführten Dokumentation A Heartbeat In The Brain, in Erscheinung getreten, brachte er drei Jahre später Visions Of Suffering heraus. Ein unfassbar vertraktes, langatmiges und unverständliches Machwerk, dessen vor einigen Jahren neu erschienener Directors Cut sich zwar quasi als komplett neuer Film darstellt, aber bei mir einen ähnlich einschläfernden und verständnislosen Effekt erzielte. So gestaltet sich Philosophy Of A Knife grundlegend vergleichbar: in schwarz weiß gedreht, abgeschmeckt mit etwas Lynchoptik (vorzugsweise Eraserhead) und wenn man als Zuschauer nicht in der Stimmung ist, gesellt sich noch eine gute Schippe Selbstverliebtheit und Prätentiosität hinzu. Zumindest auf den ersten Blick.
Der Film war ein Herzensprojekt Iskanovs, nicht zuletzt deshalb, da in seiner Heimatstadt im Jahre 1949 die Kriegsverbrecherprozesse der 12 Angeklagten der Einheit 731 stattfanden und er nur wenige Kilometer entfernt des Lagers aufwuchs. Wie sehr Iskanov dem Ganzen gerecht werden wollte, merkt man nicht nur an der Laufzeit von über 4 Stunden, die ihn dazu veranlassten, den Film, vergleichbar mit Nyphomaniac, in zwei konsekutive Teile zu untergliedern, sondern auch an dem dokumentarischen Anspruch,den er wählte. Der komplette Film wird von (in Farbe gedrehten) Interviews eines russischen Zeitzeugen unterbrochen, deren Einbindung in den Film nicht nur brauchbare Informationen liefern, sondern auch eine notwendige Entspannung für den Zuschauer darstellen. Ob die Interviewsequenzen objektiv gesehen vielleicht nicht doch den Filmfluss stören, sie besser eingebunden hätten werden können oder ob es nicht ratsam gewesen wäre, einfach "nur" eine reine Dokumentation abzuliefern, mag diskutabel sein.
Diskutabel deshalb, weil Andrey Iskanov alleine schon im filmischen Aufbau, der Laufzeit und auf Seiten der Cinematographie, sowie des Filmschnitts, oder der Soundkulisse dazu tendiert, alles hineinzupacken. Was hier stattfindet, ist eine komplette Überforderung des Zuschauer auf allen Fronten. Interviews, unfassbar lange, teils repetetive Aufnahmen von Gebäuden, Gesichtern, oder Archivaufnahmen (Letztere teils ausgeliehen aus anderen Ekelfilmen wie beispielsweise Engineering Red, sowie Ausschnitte aus Iskanovs eigener Shockumentary A Glimpse Into Hell, bestehend aus Aufnahmen einer Pathologie), sowie Anflüge von Musikvideo Schnittmassakern, gerade dann, wenn in Nahfaufnahmen medizinische Geräte gezeigt werden und Schnitt auf Schnitt auf Schnitt folgt. Die Voice-Over Stimme von Schauspielerin Manoush, dem Genrefan aus La Petite Mort, Seed 2, Necronos oder MarianDorasCannibal geläufig, die die Gedanken einer Krankenschwester darstellt, trägt dem collageartigen Guerilla-Filmemachens von Iskanov genausoviel bei, wie eine plötzlich, zwischen all der ausufernden Gewalteingestreute und aus dem Nichts kommende Liebesszene. So braucht man sich auch nicht groß wundern, wenn während der Zerteilung einer Leiche im Vordergrund eine Krankenschwester Maultrommel spielt. Und weil all dies vielleicht nicht ausreichend genug war, kommt obendrauf der Soundtrack von Alexander Shevchenko. Irgendwo zwischen klassisch angehaucht und in Ambient-Noise verfallend, hat dieser Komponist ein ernsthaftes Meisterwerk abgeliefert. Die in Italien erschienene LP (mit einem unglaublich hübschen Frontcover) hat er sich mit seiner musikalischen Darbietung redlich verdient.
Die Frage, wann zuviel einfach zuviel ist, wäre an der Stelle angebracht. Und auch ich hab mich dies des Öfteren in Bezug auf diesen Film gefragt und musste schlussendlich, nachdem ich nicht behaupten kann 2008 sonderlich gut auf Philosophy Of A Knife zu sprechen gewesen zu sein, eines zugeben: bei aller berechtigter Kritik, bei aller Anstrengung die man aufbringen muss, um auch nur eine Stunde dieses Filme zu überstehen, bei allem Ekel, allen moralischen Bedenken, ob solch wahre Ereignisse auf diese Art und Weise als Kunstfilm verpackt, in der Deutlichkeit dargestellt werden müssen und bei aller Verwirrtheit, die in einem Filmfluss begründet liegt, der sich so selbst in sich verliert und gar keinen Fokus finden mag, macht Philosophy Of A Knife die eine Sache richtig, die er richtig machen wollte:
Er funktioniert. Nicht als Spielfilm, nicht als Dokumentation, aber als Acid-induzierter Fiebertraum. Die Kameraperspektiven, die Nahaufnahmen der Gesichter, der von behäbig bis völlig wirr agierende Schnitt mit all den oben erwähnten Elementen, allem voran der Geräuschkulisse, erzeugen eine unbeschreibliche Intensität. Der Film, durchzogen von deprimierender, russischer Schwermütigkeit, entsetzlicher Tristesse, wirkt wie ein regelrechtes Abbild der Hölle. Und all die Kanten, all die objektiven Fehler in der Inszenierung, die teilweise deutliche Beschränktheit der Mittel auf Seiten der Spezial Effekte, tragen genau dazu bei. Philosophy Of A Knife ist beengend, verstörend, mitreißend, aber keineswegs auf positive Art und Weise. Wer wie ichdie Wirkung honoriert und zu schätzen weiß (von gefallen kann und darf hier aus vielerlei Gründen nicht die Rede sein), muss sich eine filmisch-masochistische Veranlagung attestieren lassen und dies nicht nur aufgrund der über jeden Sinn und Verstand hinausschießenden Brutalität, sondern auch aufgrund der völlig sperrigen Inszenierung, so weit ab jedweder Konvention. Der Film liefert und ist zelebrierte Folter - auch am Zuschauer.
Achja, Folter. Sehr gutes Stichwort. Als ob es nicht reichen würde, einer Frau einen Zahn zu ziehen, werden einfach alle gezogen. Sichtbar aus den Unterkieferknochen brechend, wird jeder einzelne davon stolz von der Linse festgehalten und diepanisch schreiendeFrau minutenlang traktiert. Kakerlaken fressen sich durch Genitalien in den Körper, es wird geköpft, in Halsarterien geschossen, Leute zerhackt, Schädel abgekocht. Es gibt Kälteexperimente, Amputationen, Füße die längs zwischen den Fußzehen in Richtung Ferse aufgesägt werden, durch Lötkolben und Starkstromstöße verbrannt Rücken, bei welchen die Wirbelsäule freigelegt wird, es werden Pulsadern über den kompletten Arm bis in die Beuge hinein geöffnet um das Spritzmuster des austretenden Blutes Messen zu können, mit Phosphorstücken werden Gesichter verbrannt, mit Stromstößen gefoltert, Fleischstücke aus einer Vagina geschnitten und herausgerissen, ganze Körper geöffnet um einen Fötus zu entnehmen und all dies, während die stets lebenden Opfer vor Schmerzen schreien und die Kamera alles, aber auch wirklich restlos alles mitfilmt.
Man kann Iskanov definitiv vorwerfen, hier jede Moral über Bord geworfen zu haben. Man kann ihm vorwerfen die realen Geschehnisse zu Gunsten eines amateurhaft angehauchten Splatterfilms zu benutzen. Und man darf sich fragen, ob KZ-Folterfilme mit Josef Mengele, Sigmund Rascher oder Aribert Heimhierzulande ebenso ungeschoren davonkommen würden, wie Philosophy Of A Knife. Berechtigte Fragen, von denen hier hoffentlich niemand eine Antwort von mir verlangt. Wer Interesse an diesem monochromen Mammutwerkjenseits aller Schmerztoleranz hat, darf entweder der vergriffenen DVD von Unearthed Films aus den Staaten hinterherjagen oderdank der LabelsLast Exit Entertainmentbeziehungsweise Spasmo Video fündig werden. Oder man wartet noch ein paar Monate, bis die deutsche Veröffentlichung kommt, deren Rechte bei - kein Witz - Oliver Krekel liegen. Das Mediabook mit den Covern A-K kann man sich dann schön zwischenRobin Hood 3D und Moontrap ins Regal stellen, vielleicht gibts zur HD Hochrechnung des DV-Materials sogar noch eine handbemalte Vagina Büste mit heraushängendem Fötus dazu.
Philosophy Of A Knife ist nicht zu Unrecht einer der härtesten Filme da draußen. Die Warnung ist ernst: Wer gedanklich Zugang zu diesem Film findet, obgleich die Zielgruppe eine äußerst kleine sein dürfte, erlebt sein blaues Wunder. Ich nehme es der BPJM wenig übel, dem Film strafrechtliche Relevanzzugeschrieben zu haben. Denn ja, Philosophy Of A Knife hat soviel mit Unterhaltung zu tun, wie eine vollgeschissene Unterhose mit einem schönen Abend. Und doch mag zwischen all der unverfrorenen Inszenierung des Regisseurs, zwischen all dem Überforderungs-Bombast, der überzogenen Einbettung in einen künstlerischen Kontext sich zwischenzeitlich eine eigensinnige Stimmung hindurchfressen. Eine Stimmung, wie sie filmisch gesehen einzigartig ist. Ob dies lediglich ein Glückstreffer Iskanovs war und es hierbei auf den Zuschauer ankommt, ist dabeidie große Frage. Der Film wurde in der Vergangenheit zu Recht kontrovers diskutiert und ich werde gegen Niemanden argumentieren, der darin einfach nur pseudo intellektuellen Scheiß sieht. Für mich steht jedoch eines fest:
Nach über 4 Stunden Philosophy Of A Knife in einer einzigen Sitzung ist der Tag komplett gelaufen. Man möchte sich unter Leute begeben, man möchte sich mit seiner Partnerin auf die Couch legen, um sich krampfhaft in Erinnerung zu rufen, dass das Leben so nicht ist. Doch schnell drängt sich der Gedanke auf, dass dies hier auf realen Ereignissen basiert und man verfängt sich einer merkwürdigen Stimmungslage. Wer damit klar kommt, gelegentlich seine Gedanken um den Abgrund tanzen zu lassen, wer Erkenntnisse daraus ziehen kann und sich in depressiv angehauchter Melancholie verfangen kann ohne abzurutschen, hat hier einen Endgegner gefunden. Jeder andere, den an der Stelle auch nur die geringsten Zweifel aufsuchen, sollte wirklich die Finger davon lassen. Hört euch stattdessen durch die Filmmusik von Alexander Shevchenko, allem voran dem Song Sorrow. Das stimmt zumindest ein.
9/10
9/10